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Interview

Studie zum Thema Tele-Nachsorge am IFR Ulm

von Luisa Schumann am 04. März 2020

Studie Tele-Nachsorge

Dr. Sebastian Knapp führt am IFR Ulm eine Studie zum Thema Tele-Nachsorge durch. Wir haben mit ihm über die ersten Ergebnisse gesprochen.

Dr. Sebastian Knapp ist Sportwissenschaftler. Nach seinem Studium in Heidelberg arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Medizinischen Hochschule Hannover und an der Technischen Universität München. Seit 2016 arbeitet er im Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm (IFR Ulm), nebenbei schloss er seine Promotion im Bereich Public Health ab. Aktuell führt er am IFR Ulm eine Studie zum Thema Tele-Nachsorge durch. Ein Poster mit ersten Ergebnissen aus diesem Projekt sollte er auf dem 29. Reha-Kolloquium in Hannover präsentieren, doch dieses wurde aus Sorge um das Coronavirus abgesagt. Uns interessierten die Ergebnisse trotzdem, also haben wir uns mit Sebastian Knapp direkt unterhalten. 

Herr Knapp, Sie sind Sportwissenschaftler und beschäftigen sich schon länger mit dem Thema Rehabilitation. Wie kamen Sie zu der Studie mit Caspar Health? 

Ich wurde u.a. mit der Studie betraut, weil ich schon mehrjährige Erfahrung mit sogenannten Multicenter-Studien habe. An solchen Studien nehmen mehrere Zentren teil, bei dieser Studie sind es verschiedene Reha-Zentren in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. 

Worum geht es denn in der Untersuchung?

Es handelt sich um eine sogenannte Nicht-Unterlegenheitsstudie. Es geht also darum, zu untersuchen, ob die Tele-Reha-Nachsorge mindestens genauso gut ist, wie die bisherige ambulante Nachsorge im Reha-Zentrum. Das langfristige Ziel ist es nicht, dass mehr Menschen von der ambulanten Nachsorge in die Tele-Nachsorge wechseln, sondern durch eine hochwertige Tele-Nachsorge diejenigen aufzufangen, die bisherige Nachsorgeangebote nicht in Anspruch nehmen konnten oder abbrachen. Das passiert zum Beispiel, wenn Patient*innen zu wenig Zeit haben oder das Reha-Zentrum zu weit entfernt liegt. 

Dr. Sebastian Knapp forscht am IFR Ulm zum Thema Tele-Nachsorge.

Dr. Sebastian Knapp forscht am IFR Ulm zum Thema Tele-Nachsorge.

Seit wann arbeiten Sie an dieser Studie?

Die Zentren haben Mitte letzten Jahres angefangen, Rehabilitand*innen zu fragen, ob sie bereit wären, an der Studie teilzunehmen; man nennt das “Rekrutieren”.  Tatsächlich aber hat so eine Studie ja einen viel längeren Vorlauf. Die Auftakt-Veranstaltung für diese Studie fand bereits im Januar 2019 statt. Dann vergeht meistens noch etwas Zeit, in der man zum Beispiel einen Ethikantrag stellt und die Studienunterlagen ausarbeitet. Im Sommer 2019 waren wir dann so weit. Anfang diesen Jahres beginnen jetzt auch die Zentren in Baden-Württemberg mit der Studiendurchführung, sodass sich die Anzahl an Studienteilnehmer*innen hoffentlich noch einmal deutlich erhöht. 

Was erreichen Sie mit einer höheren Fallzahl?

Naja, es bedeutet natürlich erst einmal mehr Organisation. Aber je mehr Rehabilitand*innen mitmachen, desto aussagekräftiger werden später die Ergebnisse. Außerdem ist es in der Regel so, dass einige Teilnehmer*innen die Fragebögen nicht vollständig beantwortet oder nicht rechtzeitig zurückschicken. Es kann auch sein, dass einige Teilnehmer*innen keine Nachsorge erhalten oder sie sogar abbrechen. So reduzieren sich dann die Fallzahlen und deshalb ist es besser, von vornherein eine höhere Anzahl von Teilnehmer*innen zu haben.

Bis wann läuft die aktuelle Studie? 

Für so eine Studie sind in der Regel drei Jahre angesetzt. Das reicht von ersten Studienentwürfen bis hin zu den endgültigen Ergebnissen. Für die Studie mit Caspar befragen wir Patient*innen zu vier verschiedenen Zeitpunkten: zu Beginn der ambulanten Reha, dann zu Beginn und nach Ende der Nachsorgephase und noch einmal ein halbes Jahr nach der Nachsorge. Selbst wenn alle Patient*innen die Nachsorge beendet haben, läuft unsere Studie also noch über ein halbes Jahr weiter. 

Was können Sie bis jetzt berichten?

Wir haben mit den ersten Ergebnissen auf dem Poster bis jetzt bestätigt, was schon bekannt ist: beide Nachsorgeformen haben ihre Vor- und Nachteile, sodass Menschen aus verschiedenen Gründen eher die eine oder die andere Nachsorgeform wählen. Patient*innen, die sich für die ambulante Nachsorge entscheiden, nennen in der Regel den persönlichen Therapeut*innenkontakt, sie mögen verbindliche Termine und empfinden es als motivierend, zu verbindlichen Nachsorgeterminen in das Reha-Zentrum zu fahren. 

Bei Patient*innen, die lieber eine Tele-Reha-Nachsorge durchführen, ist es oft so, dass sie stark in ihren Beruf eingebunden sind und zum Beispiel für ihren Job viel reisen. Oft ist allerdings auch das Reha-Zentrum zu weit entfernt oder sie kommen nicht gut hin, manche haben beispielsweise kein Auto oder eine schlechte öffentliche Verkehrsanbindung. Teilweise gibt es auch Patient*innen, die verbindliche Termine als Druck empfinden und das Nachsorgeprogramm lieber zuhause durchführen, wenn sie dafür Zeit haben. 

Wie ist Ihre persönliche Einstellung zur Tele-Rehabilitation? Glauben Sie, dass sich Therapeut*innen um ihren Arbeitsplatz sorgen müssen? 

Da bin ich als Wissenschaftler und Sporttherapeut hin- und hergerissen. Als Therapeut ist es natürlich einfacher, wenn man daneben steht und die Übungsdurchführung direkt überprüfen und korrigieren kann. Als Patient allerdings würde ich die Freiheiten einer Tele-Rehabilitation auch sehr schätzen. Eine Sorge ist ja jetzt oft, dass wegen der Digitalisierung alles heruntergespart wird und die Patient*innen beim Training nur noch auf ihren Bildschirm schauen. Aber wenn man mal darüber nachdenkt, war das früher nicht groß anders. Auch vor 10 Jahren gab es schon Übungszettel mit gezeichneten Übungen, welche die Rehabilitand*innen als Handout mit nach Hause nehmen konnten. Mit der Option von strukturierten Inhalten und Videosequenzen zu unterschiedlichen Übungen beispielsweise hat sich das sehr verbessert. Ich sehe es deshalb nicht so kritisch. Man darf sich dem auf keinen Fall verschließen. Die Digitalisierung allgemein bringt ja auch viele Vorteile. 

Welche denn zum Beispiel?

Neben der Tele-Reha gibt es mittlerweile schon Trainingsgeräte, die Bewegungsumfang und Widerstand automatisch und individuell einstellen, wenn Patient*innen eine Chipkarte oder eine ID eingeben. Das verringert das Verletzungsrisiko und entlastet Patient*innen und Therapeut*innen gleichermaßen. Außerdem kann man mit digitalen Inhalten zum Beispiel Ausfälle oder Krankheiten im Therapie-Team super auffangen: ein Vortrag, der sonst eine Therapeutin oder einen Therapeuten 45 min lang beschäftigt hätte, könnte jetzt einfach als Video gezeigt werden. 

Wo sehen Sie den größten Vorteil der Tele-Rehabilitation? 

Patient*innen, die sich für die digitale Variante entscheiden, haben in der Regel die Möglichkeit, sofort nach der Rehabilitation mit der Nachsorge zu beginnen. Dadurch ist alles noch sehr präsent, die Patient*innen erinnern sich noch an die Übungen und wissen zum Beispiel noch wie viele Wiederholungen sie in der Reha geschafft haben. Bei der ambulanten Nachsorge ist es teilweise so, dass die Patient*innen eine gewisse Wartezeit haben, bis sie beginnen können. Dann ist die Versorgungskette unterbrochen, die Patient*innen haben möglicherweise zwei Wochen gar nichts gemacht und sollen dann da wieder rein. Dann ist der Trainingsstand ein ganz anderer und die Motivation dadurch vielleicht nicht mehr so hoch. 

Herr Knapp, ist die Tele-Rehabilitation ein Zukunftsmodell? 

Das Thema Telemedizin ist ja gerade total en vogue. Zu Recht! Ich glaube, es gibt da noch sehr viel Potenzial. Unsere aktuelle Studie läuft ja jetzt noch ein bis zwei Jahre, aber ich freue mich schon darauf, was sich bis dahin in diesem Bereich getan hat.  Es gibt viele spannende Ansätze und ich glaube, da gibt es noch viel zu entdecken. 

Vielen Dank, Herr Knapp, wir freuen uns schon auf Ihre Entdeckungen!