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Interview

Aha-Momente bei der Ernährung – Interview mit Caspar Clinic Therapeut André Jentsch

von Jann Gerrit Ohlendorf am 15. Juli 2022

Ernährungsberatung hat in den vergangenen Jahren innerhalb der Rehabilitation deutlich an Bedeutung gewonnen – auch wenn die Verpflegung in mancher Rehaklinik dazu im Widerspruch stehen mag.

Im Rahmen der ‘kombinierten Versorgung’, also unserer digitalen Therapie mit der Caspar Software und der Begleitung durch das Team der Caspar Clinic, spielt die Ernährung, etwa nach schweren Operationen oder der mit einer Hüft-OP einhergehenden Gewichtsreduktion, oft eine echte Schlüsselrolle. 

Diätassistent André Jentsch, sagt: “Aus meiner Erfahrung weiß ich: Den meisten Menschen ist schon irgendwie klar, dass eine sehr unausgewogene Ernährung der Gesundheit schaden kann. Viel wichtiger ist mir allerdings, dass auch das Gegenteil inzwischen vielfach belegt ist: Gute und gesunde Ernährung erhält und stärkt die Gesundheit!” Grund genug, mit ihm über seine Aha-Momente beim Thema Ernährung zu sprechen – und darüber, wie aus bloßem Wissen mehr Motivation erwachsen kann, die Ernährung dauerhaft zu verbessern. Spoiler vorweg: Der Genuss muss dabei keinesfalls auf der Strecke bleiben! 

Diätassistent André Jentsch hat ein Ergänzungsstudium Diätetik absolviert und mehrjährige Erfahrung in der Adipositas-Therapie. André Jentsch ist fasziniert von Ernährung und Wissen. Er kocht jeden Tag selbst, seit zwei Jahren ernährt er sich rein pflanzlich. Tiere mag er durchaus: Zwei Katzen und ein Pferd gehören zu seiner Familie. Sein Motto: “Gesundes Essen darf auch schmecken!”


Aha-Moment 1: Pillen gehören nicht in die Küche – die meisten Nahrungsergänzungsmittel sind nutzlos, einige sogar schädlich   

Viele Menschen kaufen sich gutgläubig Nahrungsergänzungsmittel wie beispielsweise Multivitaminpräparate. Das Geld dafür lässt sich besser nutzen; die meisten derartiger Pillen können zu einer guten Gesundheit wenig beitragen. Allerdings kann eine Überdosierung, vor allem von fettlöslichen Vitaminen wie A, D, E und K (Faustformel, um sich diese Gruppe zu merken: E-D-E-K-A), sogar die Gesundheit belasten. Nach Rücksprache mit der behandelnden Ärzt*in kann allenfalls eine Ergänzung um Vitamin D angeraten sein, wenn hierbei Zusammensetzung und Darreichungsform auf den individuellen Bedarf abgestimmt sind. Zweite Faustformel: Eine ausgewogene, gesunde Ernährung schlägt die Pillenkost bei Weitem! 


Aha-Moment 2: Schlechte Ernährung ist oft Folge der in der Kindheit angelegten Gewohnheiten – gut gemeinte Vorstellungen sind überholt  

Viele meiner Patient*innen sind noch mit gut gemeinten, aber problematischen Ermahnungen groß geworden: “Was auf den Tisch kommt, wird gegessen!” Dadurch haben sie dann verlernt, auf ihre Körpersignale zu achten. Der Körper weiß eigentlich von Natur aus, wann es reicht. Und er weiß auch, was uns gut tun würde. In der Rehabilitation sollten wir uns deshalb Zeit nehmen, bewusster mit unserem Körper umzugehen. Aus meinen Gesprächen weiß ich, dass genau das im Klinikaufenthalt nicht immer gelingt. Viele sind dann umso dankbarer, wenn wir uns ausführlich für sie Zeit nehmen können. Auch Achtsamkeit ist in der Ernährungstherapie wichtig, weil wir die psychologischen Grundlagen inzwischen viel mehr berücksichtigen. Mit Zeit und Geduld können wir erlernte Muster, die uns schaden, überwinden. Die Belohnung für diesen Aufwand sollte man dabei nicht vergessen: Essen mit großem Genuss!  


Aha-Moment 3: Liebe Eltern, wenn Kinder Brokkoli ablehnen, akzeptiert das ruhig. Auf dem falschen Trip sind sie nur bei Zuckerbomben  

Was Kinder mögen, finden Erwachsene oft banal. Warum kein Brokkoli, der ist doch gesund? Mit ihren Instinkten liegen die Kinder jedoch oft richtig. Ihr Körper sperrt sich gegen den bitteren Geschmack, weil der (noch) nicht zu ihren Bedürfnissen passt. Wirklich manipuliert werden Kinder – und wenn wir ehrlich sind, wir Erwachsene auch – regelmäßig nur beim Zucker, und das macht sich die Industrie vielfach zu Nutze. Die kleine Zwischenmahlzeit als Zuckerbombe wird, wenn sehr oft verzehrt, schnell zum Problem. Der Verzicht auf Brokkoli steht einer Neuentdeckung im höheren Alter dagegen überhaupt nicht im Weg.  


Aha-Moment 4: Kohlenhydrate sind nicht der Feind, und Fett ist auch nicht immer schlecht 

Es wäre ja auch zu schön gewesen! Einfach Kohlenhydrate reduzieren und automatisch glücklicher und zufriedener leben! Das ist kein guter Plan. Denn Kohlenhydrate sind nicht einfach “schlecht”. Ganz im Gegenteil: In Kombination mit Ballaststoffen helfen sie dem Körper dabei, den oft problematisch hohen Zuckeranteil in der Ernährung zu bewältigen, weil sie die Aufnahme des Zuckers verlangsamen. Vereinfacht gesagt: Bei Kohlenhydraten kommt es auf die Länge der Kette an. Was das genau bedeutet? Je länger der Körper braucht, um die einzelnen Zuckermoleküle verfügbar zu machen, desto langsamer steigt der Blutzucker. Das ist positiv. Denn so entlasten wir unseren Körper und sorgen für eine lange Sättigung. 

Und dann ist da das Fett. Noch so ein Bestandteil unserer Ernährung, den man keinesfalls verteufeln sollte. Wozu auch: Fett ist ein Geschmacksträger und gutes Essen ist immer auch Essen, das uns schmecken sollte! Außerdem ist Fett gar nicht per se ungesund. 

Es kommt auf die Verteilung der einzelnen Fettsäuren an. Auch dazu ein paar Kennzahlen: Wir sollten rund ein Drittel unserer Energie über Fett beziehen, und davon dann 10 Prozent gesättigte Fettsäuren, 10 Prozent einfach ungesättigte Fettsäuren wie Rapsöl, Olivenöl, Avocado und weitere 10 Prozent als mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Dabei handelt es sich um die bekannten Omega-3-Fettsäuren, die in Fischen, Algen und einigen Ölen enthalten sind. Es ist oft wichtig, diese Kategorie der Fette besser in der Ernährung zu berücksichtigen.   


Aha-Moment 5: Ab und zu mal ans Darmmikrobiom denken! 

Wir sind nicht allein! In uns, genauer in unserem Darm, leben im besten Fall unzählige Bakterien, die es gut mit uns meinen. Davon merken wir normalerweise nichts. Aber wehe, die Darmflora ist gestört! Dann drohen Durchfall, Verstopfungen, Blähungen, Bauchschmerzen, Krämpfe oder Übelkeit. Diese Probleme treten meist nach einer Antibiotika-Einnahme auf; sie können allerdings auch durch eine ungünstige Ernährung begünstigt werden. Damit wir einen gesunden Darm erhalten, brauchen wir meist keine teuren Produkte. Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornbrot oder Naturjoghurt fördern ebenfalls eine gute Darmflora. Sie können dafür sorgen, dass sich möglichst viele der “guten” Bakterien bei uns wohlfühlen und sich vermehren. Die Folge: ein gesunder und “glücklicher” Darm. Dadurch fühlen wir uns dann selbst insgesamt fitter und zufriedener.  


Aha-Moment 6: Höheres Gewicht muss kein Problem sein 

Manche machen es sich mit der Gesundheit zu einfach. Doch ganz so einfach ist es eben manchmal nicht mit dem Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit: Weder sind Light-Produkte prinzipiell empfehlenswert, noch muss ein hohes Gewicht einer guten Gesundheit in jedem Fall entgegenstehen. Es kommt auf verschiedene Faktoren an, beispielsweise auch darauf, ob das Gewicht mit einem besonders muskulösen Körperbau einhergeht. Was sich allerdings pauschal wirklich sagen lässt: Ohne ausreichend Bewegung wird der Mensch auf Dauer krank. In der Rehabilitation und Nachsorge gibt es die Zeit dafür, die nicht immer trivialen Zusammenhänge besser zu verstehen – und Bewegung für sich zu entdecken. Wenn es uns darum geht, Gewicht zu verlieren, wissen wir inzwischen außerdem: Wer sich einer angesagten kohlenhydratarmen Diät (low carb) unterwirft, verliert nicht mehr Gewicht als Menschen, die eine ausgewogene kohlenhydratreiche Diät wählen. Aber low-carb-Diäten sind oft besonders teuer.  


Aha-Moment 7: Siegel, Zertifikate, Ampeln – worauf der/die Diätassistent*in beim Einkauf achtet 

Von Tierwohl bis Ökosiegel: Immer mehr Verpackungen sind mit Symbolen, Kennzeichnungen bedruckt. Dazu dann noch die detaillierten Nährwertangaben – braucht man zum Einkauf bald ein Lexikon? Die meisten Label verwirren meiner Meinung nach nur und helfen kaum noch. Entweder weil die Kontrolle für diese Siegel meist bei den Lebensmittelherstellern liegt oder die Auflagen nicht streng genug sind.

Ich wurde erst neulich wieder von einem Patienten gefragt, wie ich einkaufen gehe. Worauf kann man achten, damit man sich gesünder ernährt? Er war verwirrt von Zertifikaten, von Siegeln, von der Lebensmittelampel – und aufgrund dieser Flut von Informationen wusste er nicht, was gut für ihn ist. Da kann ich den Tipp geben, darauf zu schauen, dass ich so wenig verarbeitete Lebensmittel wie möglich zu mir nehme. Das heißt naturbelassene Produkte, zum Beispiel Naturjoghurt, Naturquark, einen normalen, also nicht stark verarbeiteten Käse, von mir aus gern auch ein schönes Brot, ein gutes Stück Fleisch, was nicht mit Geschmacksverstärkern und Aromen versetzt wird. So kann ich meinen Körper dazu bringen, mir wieder den natürlichen Geschmack anzutrainieren, damit ich merke: Wann bin ich satt, was brauche ich wirklich? Dann bin ich insgesamt gesünder und kann vor allen Dingen meinen natürlichen Geschmack fördern.  

Für Obst und Gemüse gilt: Am besten saisonal und regional kaufen. Bei tierischen Produkten sollten wir auf die Haltungsbedingungen schauen und ruhig bei der Metzgerei fragen, wie die Tiere gehalten und ernährt worden sind oder der Stall aussieht. Das betrifft allerdings nicht meinen Einkauf, weil ich mich rein pflanzlich ernähre. Eine gesunde Ernährung ist aber in jedem Fall auch mit tierischen Produkten möglich.


Nachfolgend ein kleiner Auszug aus unserem Interview:

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