Mehr Mut zum Gespräch: Warum digitale Nachsorge für Darmkrebspatient*innen ein guter Weg sein kann
von Luisa Conroy am 26. März 2024
Der März ist Darmkrebsmonat und Anlass, mit der Therapeutin Selina Steinkamp über dieses Krankheitsbild zu sprechen. Doch auch, wenn es in unserem Artikel heute um die Zeit nach einer Darmkrebsbehandlung geht, ist es Gesundheitsfachkräften bei diesem Thema auch immer wichtig, an die Vorsorge zu erinnern.
Der Appell, den auch unsere Kollegin unterstreicht, lautet: Bitte gehen Sie zum kostenlosen Darmcheck ab 50 Jahren! Denn kaum einer anderen Krebsart lässt sich so leicht vorbeugen wie dieser. Jährlich sterben fast 23.000 Betroffene an den Folgen von Darmkrebs. Dabei wäre das vielfach vermeidbar, durch Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennung.
Selina Steinkamp ist Sporttherapeutin in der virtuellen Caspar Clinic, unserem digitalen Centrum für Gesundheit. Nach sieben Jahren in der Rehaklinik kam die studierte Sportwissenschaftlerin zu Caspar Health und bereichert seitdem mit ihrer Erfahrung unser Therapeut*innenteam. Hier ist sie hauptsächlich für onkologische Kliniken zuständig. Darmkrebs ist dabei nur eines der vielen onkologischen Krankheitsbilder, die sie täglich betreut. Im Interview erzählte sie uns, wie die Nachsorge mit Caspar bei Darmkrebs funktioniert und warum die digitale Nachsorge für dieses Krankheitsbild besonders geeignet ist.
Frau Steinkamp, Sie sind vergangenes Jahr neu zu uns in die Caspar Clinic gekommen. Nach so vielen Jahren in der Klinik - was war die größte Umstellung für Sie?
Was ich vor allem anfangs vermisste habe, ist während der Übung vor den Patient*innen zu stehen. Gerade bei Darmkrebspatient*innen gibt es zu Beginn oft sehr viel Unsicherheit. In der Hands-on Therapie merkt man sofort, wie unsicher jemand ist. In der digitalen Therapie muss man dafür erst einmal Strategien entwickeln.
Wie funktioniert diese Einschätzung digital?
Bei der digitalen Nachsorge muss ich über den Chat und am Telefon herausfiltern, wie viel Unsicherheit vorhanden ist. Am Anfang konnte ich mir nicht so richtig vorstellen, wie das funktionieren soll. Aber glücklicherweise haben wir im Team inzwischen wirklich viele Jahre Erfahrung in der digitalen Therapie und so konnten meine Kolleg*innen mir viele wertvolle Tipps mitgeben.
Inzwischen bin ich erstaunt darüber, wie gut die Einschätzung von Patient*innen auch aus der Ferne funktioniert. Dabei war ich zu Beginn wirklich skeptisch! Die Patient*innen fassen sehr schnell Vertrauen und öffnen sich mir. Dabei hilft es vielleicht manchmal sogar, dass sie mir nicht ins Gesicht sehen müssen - unangenehme Themen sind telefonisch meist sogar leichter zu besprechen als persönlich.
Welche Themen meinen Sie zum Beispiel?
Nun, gerade bei den großen onkologischen Krankheitsbildern - Brustkrebs, Prostatakrebs und Darmkrebs - müssen Patient*innen über Körperregionen sprechen, die leider noch oft als Tabuthema gelten. Darmkrebspatient*innen bekommen sehr häufig einen künstlichen Darmausgang, also ein Stoma, und müssen sich erst einmal daran gewöhnen, damit in ihrem Alltag umzugehen.
Kommt daher auch die Unsicherheit bei dieser Patient*innengruppe?
Ja, genau. Viele trauen sich am Anfang nicht, Sport zu machen. Der neue “Schlauch” und der “Beutel” scheinen erst einmal bei allem im Weg zu sein.
Das ist sicher auch für Sie in der Übungsauswahl eine Herausforderung.
Stimmt. Der Bauch darf dann gar nicht belastet werden, dadurch fallen viele Übungen schon weg. Auch mit dem unteren Rücken muss man zu Beginn der Nachsorge aufpassen. Dazu kommt, dass sich viele Patient*innen erst einmal gar nicht auf die Matte trauen, aus Sorge, dass der Stoma verrutscht. Hier gehen wir also besonders behutsam vor. Wir fangen mit Übungen im Sitzen und im Stehen an und ich frage dann von Woche zu Woche: Darf ich Ihnen testweise eine Übung auf der Matte einstellen? Die Patient*innen wissen, dass sie die Übung jederzeit überspringen können, wenn sie sich nicht wohlfühlen. Aber wenn die Übung dann erst einmal auf dem Bildschirm erscheint, trauen sich viele dann doch, es einmal zu versuchen.
Was müssen Sie bei der digitalen Nachsorge für Darmkrebspatient*innen noch bedenken?
Ein großer Aspekt bei einer Darmkrebserkrankung ist die Ernährung. Hier bekommen die Betroffenen in der Rehaklinik sehr viele Informationen, aber sie bekommen natürlich auch jeden Tag das Essen auf den Tisch gestellt, das sie essen dürfen. Zu Hause angekommen, sind dann viele mit der Ernährungsumstellung überfordert: Wie kann ich das eigentlich im Alltag umsetzen? Da ist es toll, dass ich mit unserem Ernährungsberater André Jentsch zusammenarbeiten kann. In der telefonischen Beratung mit ihm können Patient*innen ihre Fragen stellen und gerade Darmkrebspatient*innen bitten häufig auch noch um ein Folgegespräch mit ihm. Es ist schön, dass wir ihnen auch auf diesem Gebiet Sicherheit geben können.
Was ist noch besonders an dieser Patient*innengruppe?
Was man wirklich herausstellen muss, ist die hohe Motivation von onkologischen Patient*innen generell. Das ist schon sehr bemerkenswert. Manchmal müssen wir diese Patient*innen sogar eher einfangen, damit sie nicht zu viel machen. Und besonders bei Darmkrebspatient*innen ist die Wertschätzung für die digitale Nachsorge enorm hoch. In einer Rehasportgruppe müssten sie sich vielen Fremden mit ihrem Stoma präsentieren, das trauen sich die meisten zu Beginn nicht. Außerdem könnten sie viele Übungen, die in diesen Gruppen durchgeführt werden, gar nicht mitmachen! Da ist die digitale Nachsorge schon ein Geschenk.
Das klingt nach einem ziemlich dankbaren Job.
Das ist es wirklich. Auch, wenn man anfangs oft feinfühlig ausloten muss, wo die Grenzen sind - die Fortschritte sind dann toll zu beobachten.
Vielen Dank für die Einblicke und das motivierende Interview, liebe Selina Steinkamp!