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Interview

Wie Logopädie und die Lust auf Apfelkuchen Patient*innen helfen, besser zu sprechen und zu schlucken

von Jann Gerrit Ohlendorf am 15. September 2022

Die meisten Menschen machen sich erst klar, wie perfekt die Natur uns ausgerüstet hat, um miteinander zu sprechen, wenn die Interaktion gestört ist. Unfälle oder neurologische Erkrankungen können plötzlich dazu führen, dass es uns schwerfällt, zu sprechen oder zu schlucken.

Wie die Logopädie gerade in der Rehabilitation dabei helfen kann, wieder möglichst unbeschwert mit der Umwelt ins Gespräch zu kommen, weiß Jennifer Graubner. Die Logopädin aus dem Team der Caspar Clinic weiß auch, warum Angehörige oft eine sehr wichtige Rolle bei der Bewältigung der Herausforderungen spielen – und warum manchmal die Erinnerung an den selbstgebackenen Apfelkuchen kleine Wunder bewirken kann.

“Ich bin Logopädin geworden, um die vielen Worte loszuwerden, die ich gern loswerden möchte. Das sagen meine Freunde über mich. Glücklicherweise freuen sich die meisten Menschen sogar darüber”, sagt unsere Logopädin aus dem Team der Caspar Clinic. “Ich habe außerdem große Freude daran, anderen zu helfen und ihre Stärken wiederzufinden. Auch das ist eine wichtige Aufgabe der Logopädie. Ich kann jedoch auch mal still sein, wenn ich zum Beispiel einfach mit einem Hörbuch spazieren gehe oder mit Tempo längere Strecken jogge!”   

Reden wir kurz über die nicht so erfreulichen Ursachen, die eine logopädische Behandlung erforderlich machen. So kann eine Gesichtsverletzung die Motorik einschränken und eine Gesichtslähmung auslösen. Unvermittelt die Interaktionsmöglichkeiten begrenzen können außerdem plötzliche Hirnblutungen, Schädel-Hirn-Traumata nach einem Unfall oder auch ein Schlaganfall. Weniger offensichtlich sind neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose.


Wie geht die Logopädie in der Rehabilitation und Nachsorge auf die unterschiedlichen Ursachen ein? 

Im Gespräch frage ich anfangs immer genau nach, was passiert ist und wie in der Rehabilitation bisher auf die Symptome meiner Patient*innen reagiert wurde. Oftmals berichten mir die Patient*innen dann von speziellen Behandlungstechniken, auf die ich auch in der digitalen Nachsorge eingehen kann. Im Idealfall schaue ich, dass ich die erlernten Behandlungskonzepte aus der Rehabilitation in den neuen Alltag einbauen kann. Denn der Alltag ist nun oft ganz anders als früher.  

Warum ist der Alltag für viele Patient*innen nach der Rehabilitation ganz anders? 

Da gab es vor einiger Zeit etwa eine Patientin, die mir erzählte, dass sie sich nie zuvor darüber Gedanken gemacht habe, wie viele Muskeln notwendig sind, um dem Gegenüber ein ehrliches und natürlich wirkendes Lächeln entgegenzubringen. Von der Motorik betrachtet, ist das nämlich echtes Teamwork: Lachen bewerkstelligen wir mit der Hilfe von einer Vielzahl an Muskeln.  

Die meisten von uns müssen sich über das Zusammenspiel der Muskeln beim Lachen oder auch beim Schlucken keine Gedanken machen…

Genau, doch für meine Patientin war es jetzt wichtig, die entsprechenden Muskeln aktivieren zu lernen und in der richtigen Dosierung anzusteuern. 

Wie kann die Logopädie dabei helfen, die richtigen Muskeln anzusteuern?  

Speziell in diesem Fall habe ich der Patientin in einem Videochat gezeigt, dass es manchmal besser ist, mit weniger Kraft zu arbeiten. Sie sollte sich mehr auf die Wahrnehmung beider Gesichtshälften konzentrieren, also auch auf die eigentlich nicht betroffene Hälfte. Die würde sonst nämlich schnell, weil ungebremst, über das Ziel hinausschießen. 

Ist der/die Logopäd*in aus der Caspar Clinic in der Nachsorge immer im persönlichen Kontakt mit den Patient*innen? 

Der persönliche Kontakt durch uns als  Bezugstherapeut*innen wird von den Patient*innen sehr geschätzt. Nach dem Erstgespräch biete ich meinen Patient*innen gleich auch noch ein weiteres persönliches Gespräch an, um konkrete Übungen zu besprechen. Dann erst wird der Therapieplan erstellt, den die Patient*innen selbständig durcharbeiten können. In den einzelnen Übungen ergänze ich individuelle Hinweise, beispielsweise den Tipp, auf ein forciertes Ausatmen bei Schluckübungen zu achten. Warum ist das wichtig? Nur so können Patient*innen, die Schwierigkeiten haben, zum Beispiel den Speichel abzuschlucken, sicherstellen, dass etwaige Reste nicht in die Luftwege geraten. Wichtig zu wissen ist dabei: In der Nachsorge ist das eine Erinnerung; die grundlegenden Techniken haben die Patient*innen bereits in der Rehabilitation erlernt. 

Nach dem intensiven Kontakt am Anfang folgen dann Phasen des Eigentrainings, richtig? Also gilt grundlegend auch bei der Logopädie, dass die Eigenmotivation über den Erfolg ganz maßgeblich entscheidet? 

Ja, genau. Manchmal kann dabei der sehnliche Wunsch den Ausschlag geben, endlich wieder den selbstgebackenen Apfelkuchen des Ehemanns essen zu können. Allgemein gilt: Die Eigenständigkeit und die Stärkung der Selbstwahrnehmung sind auch in der Nachsorge von besonderer Bedeutung. Denn im Alltag werde ich meinen Patient*innen auch nicht auf der Schulter sitzen und ihnen Hinweise ins Ohr flüstern können. 

Apropos backerprobte Ehemänner: Was können die Angehörigen von Logopädie-Patient*innen tun und welche Hilfen gibt es konkret für den Alltag? 

Die Angehörigen mit ins Boot zu holen, ist immer richtig und wichtig. Sie können praktisch ihren Nächsten ein Gefühl dafür geben, wie sich die Dinge zum Guten verändern. Wenn sie verstehen, worauf es ankommt, ist das in jedem Fall gut und nützlich. Selbst, wenn der Erfolg im Mundraum kaum spürbar sein sollte, was leider auch vorkommt, können wir von der Caspar Clinic trotzdem etwas tun. Zum Beispiel, indem wir alternative Wege aufzeigen, wie die Interaktion gestaltet werden kann. Es gibt Hilfsmittel wie Tafeln, die dann beide Seiten verwenden können. Heute nutzen viele natürlich vermehrt dazu Tablets. Auch die können uns bei der Kommunikation unterstützen. Noch ein ganz anderes praktisches Beispiel, wie moderne Technik uns helfen kann: In unserer Bibliothek der Caspar Software haben wir Rezepte für Gerichte, die sich leichter schlucken lassen. 

Damit wir eine praktische Idee gewinnen können: Wie sieht denn beispielsweise eine Übung aus, mit der sich die Muskelkraft im Mundraum stärken lässt und die auch denjenigen nützt, die selbst nicht in Behandlung sind?  

Zur Kräftigung der Lippenmuskulatur und mit dem praktischen Nutzen einer gut verständlichen Aussprache, verwenden wir sehr gern diese Übung, die ich auch in einem kurzen Video vorführe: Dazu stellen oder setzen wir uns so aufrecht wie möglich hin, legen die Lippen locker aufeinander und formulieren folgende Silben so deutlich wie möglich: ba….. ba…. ba… ba! Dann variieren wir entweder mit dem Tempo oder stellen eine andere Silbe als Kontrast gegenüber: Ba, ba…. ba,ba,ba! Oder Ba … Pa… Ba…Pa. Nach der Übung entspannen wir die Lippenmuskulatur, indem wir durch die Nase einatmen, die Lippen locker aufeinander liegen lassen und dann forciert durch diese ausatmen: Pffffffffff!  

Liebe Jennifer Graubner, vielen Dank für das Gespräch!