Therapietransformation: Von der Trainingsfläche an den Schreibtisch
von Luisa Schumann am 26. Februar 2021
Marlene Schöpflin berichtet von ihrem Weg zur Tele-Therapeutin und erklärt, was bei der digitalen Betreuung von Patient*innen zu beachten ist.
Marlene Schöpflin ist eine treibende Kraft beim Thema Telerehabilitation in Deutschland: Die 34-Jährige leitet gemeinsam mit ihrem Kollegen Tommy Apelt eine der wenigen reinen Tele-Therapie-Kliniken im Lande. 2019 haben die beiden die Tele-Therapie-Klinik der Zentren für Ambulante Rehabilitation (ZAR) aufgebaut. Wir wollen von ihr wissen, wie man Tele-Therapeutin wird und was der Beruf so beinhaltet. Das Gespräch mit Marlene findet im Februar 2021 statt, aufgrund der geltenden Beschränkungen sitzt sie in ihrem Homeoffice in Berlin.
Liebe Marlene, schön, heute mit dir zu sprechen. Eine einfache Frage vorweg: Warum bist du Therapeutin geworden?
Ich wusste schon lange, dass ich Therapeutin werden wollte. Ich habe selber viel Sport gemacht und gemerkt, dass mir das gut tut. Also wollte ich damit auch anderen helfen. Ich finde die Bandbreite des Berufes spannend: man kann allen helfen, ob es nun eine Leistungssportlerin ist, der man zu voller Leistungsfähigkeit verhilft oder ein Familienvater, der einfach nur wieder einen schmerzfreien Alltag haben will.
Wie bist du dann Tele-Therapeutin geworden?
Ich habe Sportwissenschaften mit dem Schwerpunkt Reha, Therapie und Prävention an der Uni Potsdam studiert und mich dann zur medizinischen Trainingstherapeutin weitergebildet. Nach der Uni habe ich 10 Jahre als Therapeutin im ZAR Berlin gearbeitet, aber früh gemerkt, dass ich mich weiterentwickeln möchte. Also habe ich neben der Arbeit angefangen, Public Health zu studieren. Im ZAR habe ich dann außerdem noch das Qualitätsmanagement aufgebaut und geführt. Als die Tele-Therapie-Klinik aufgebaut werden sollte, wusste man im ZAR also schon, dass ich Strukturen aufbauen kann. Ich habe mich intern beworben und die Stelle bekommen.
Was hat sich dann für dich verändert?
Früher habe ich viele Patient*innen jeden Tag gesehen, heute sehe ich meine Wand (lacht). Das liegt natürlich auch daran, dass wir aufgrund der Pandemie ins Homeoffice gezogen sind. Ansonsten ist für mich schon ein Traum in Erfüllung gegangen. Ich wollte weiter im Bereich der inhaltlichen Therapie arbeiten, aber auch die Möglichkeit haben, im Rahmen der größeren Versorgung tätig zu werden. Beim Schreiben meiner Masterarbeit über Versorgungsmanagement habe ich gemerkt: viele Menschen bekommen einfach keine ausreichende gesundheitliche Versorgung. Das kann ich jetzt ein Stück weit ändern.
Marlene Schöpflin (34) leitet mit ihren Kollegen Tommy Apelt die ZAR Tele-Therapie-Klinik
Wie genau kannst du dafür sorgen, dass Menschen besser versorgt werden?
In der Tele-Therapie-Klinik der ZAR betreuen wir Patient*innen in der Reha-Nachsorge. Für die Tele-Reha-Nachsorge entscheiden sich vor allem Menschen, die die klassische Reha-Nachsorge nicht wahrnehmen können, zum Beispiel weil sie zu weit weg vom Reha-Zentrum wohnen oder weil sie in Schichtarbeit arbeiten. In den pandemiebedingten Lockdowns kamen jetzt noch Menschen dazu, die sonst aufgrund der Beschränkungen keine Nachsorge hätten wahrnehmen können. Alles in Allem versorgen wir also Menschen, die sonst nach der Reha keine weitere Betreuung erhalten hätten.
Wie genau läuft die Tele-Nachsorge ab?
Wir begrüßen die Patient*innen nach ihrer Reha per Telefon in der Nachsorge. Die Caspar App kennen unsere Patient*innen schon aus den Einrichtungen. Im Gespräch geht es also eher darum, wie es ihnen geht, ob sie Beschwerden haben, wie die Reha verlaufen ist und ob sie Wünsche für die kommenden Wochen und Monate haben. Auf Basis dieses Gesprächs, der Übungsdaten aus der Reha-Phase und der Angaben meiner Kolleg*innen aus der ZAR-Einrichtung erstellen wir dann einen Therapieplan in der App. Die Patient*innen führen dann selbstständig zu Hause mit Caspar ihre Therapie durch und wir sind weiter als Ansprechpartner*innen da.
Wie können eure Patient*innen mit euch kommunizieren?
Per Telefon, per Chat oder Videocall in der App und per E-Mail. Wir kontaktieren alle Patient*innen regelmäßig und wenn es Fragen gibt, haben wir manchmal sogar täglich Kontakt.
Was machst du als digitale Therapeutin anders?
Der Motivationsfaktor ist natürlich viel größer. Wenn ich jemanden auf der Trainingsfläche trainiere, wird er oder sie nicht sagen: jetzt gerade nicht, Danke. Beim Training mit der App passiert das natürlich häufiger. Wir müssen viel mehr praktisch ansetzen und den Menschen erklären, wie sie ihre Therapie in den Alltag einbauen können. Außerdem habe ich mehr Zeit, mit den Patient*innen über Inhalte zu reden, also über ihre Ziele oder Trainingssteuerung. Das liegt daran, dass ich die Übungen nicht erklären muss, das macht ja schon die App. Ich behandle jetzt pro Tag genauso viele Patient*innen wie vorher, aber spreche mit ihnen über ganz andere Dinge.
Woher weißt du, dass deine Patient*innen ihre Übungen richtig machen?
Ich hatte am Anfang auch die Befürchtung, dass Übungen falsch durchgeführt werden. Aber das ist in der Praxis nur sehr selten vorgekommen. Oft verspüren die Patient*innen beim Training dann Schmerzen oder merken, dass sie Schwierigkeiten bei der Durchführung haben. Dann fragen sie nach. Außerdem gibt es bei Caspar die Möglichkeit, dass sie sich bei der Übung filmen und uns das Video über die App zukommen lassen. Meistens ist das aber nicht nötig.
Es ist also nicht schlimm, dass du die Patient*innen nicht siehst?
Was natürlich fehlt ist der Blick auf meinen Patienten oder meine Patientin, wenn ich sehe: aha, das Gangbild stimmt nicht ganz, da weicht er oder sie aus, und so weiter. Ich muss also mehr fragen, um ein gutes Bild zu bekommen. Aber dafür habe ich die strenge Taktung von 20 Minuten pro Person nicht mehr. Mit manchen Patient*innen spreche ich viel länger, um zu verstehen, was sie brauchen und mit manchen kürzer. Die Patient*innen sind durchweg super dankbar. Einige haben zu Anfang Bedenken oder sind sehr vorsichtig. Aber dann merken sie, dass wir ihnen hochqualitative therapeutische Beratung bieten und bauen Vertrauen zu uns auf.
Musst du deinem Umfeld oft erklären, was du machst?
Ja, viele sind super interessiert. Tele-Therapie ist einfach total neu, keiner kennt das. Die meisten fragen, ”Hä? Wie geht das?”, aber es ist viel Interesse da. So entstehen schöne Gespräche. Was auch super ist: wenn ich jetzt mal mit einem Entwickler spreche, habe ich auf einmal Gesprächsthemen (lacht). Ich weiß zwar immer noch nicht, was da eigentlich überall für Zahlen hinten herum schweben, aber ich verstehe jetzt, dass man die Digitalisierung nutzen kann, um auf Schwachstellen Einfluss zu nehmen. Das ist natürlich toll.
Gibt es Momente, die dich zweifeln lassen?
Nein, ich habe gar keine Zweifel. Ich fühle mich ziemlich gut aufgehoben. Meine Arbeit macht wirklich Spaß. Ist das jetzt langweilig, wenn ich das sage? Es gibt natürlich bei der Arbeit Momente, bei denen es nicht so flutscht, aber das ist glaube ich in jedem Beruf so. Es gibt wirklich viele Menschen, die mir erzählen, dass sie sonst keine Reha-Nachsorge gemacht hätten. Und dann bin ich froh, diesen Menschen einen Zugang zu einer therapeutischen Betreuung ermöglichen zu können.
Allerdings, das finden wir auch! Danke für das Gespräch Marlene und Glückwunsch zu so einem tollen Werdegang. Viel Spaß und Erfolg weiterhin!