In der MITTE liegt die Kraft - 7 Fragen zum Powerhouse und warum ein enger Hosenbund hilft, die stabile Mitte zu finden
von Aila Noeren am 25. Oktober 2022
Bäume wachsen aus ihrer Mitte heraus, die Fliehkraft hat ihren Ursprung im Zentrum. Auch bei Menschen ist die Mitte essentiell für alle Bewegungen, für die Aufrichtung und für die Stabilität
Ob sie vom Pferd gefallen sind, die Treppen hinuntergestürzt oder einen Schlaganfall erlitten haben: Viele Reha-Patient*innen müssen nach Unfällen oder Erkrankungen neue Stabilität aufbauen. Nur so sind sie in der Lage, ihren Alltag selbstbestimmt zu bestreiten.
Eine Möglichkeit, wieder sicher gehen, stehen und sich aufrichten zu können, bietet die Stärkung des eigenen Zentrums durch Pilates. Mit Übungen für eine “stabile Mitte” trägt das systematische Ganzkörpertraining nicht nur zur Genesung bei, sondern legt einen Grundstein für so viel mehr. Was mit “stabiler Mitte” und “so viel mehr” gemeint ist, warum Rumpffestigkeit wichtig ist und wie wir sie (wieder-)erlangen, hat uns Sabrina Rohde erklärt. Sie ist Leiterin der Therapie und des Patient*innenmanagements bei Caspar Health, langjährige Physiotherapeutin und enthusiastische Pilatespraktizierende und -lehrerin.
Warum bietet Caspar Health Seminare zur “stabilen Mitte” an, warum genau zu diesem Thema?
Bei Caspar Health haben wir viel mit Patient*innen zu tun, die unterschiedliche Formen von Rückenschmerzen beschreiben. Ob Beeinträchtigungen am Kreuzbein, im Ischias-Bereich, Hexenschuss oder Bandscheibenprobleme - viele Rückenbeschwerden lassen sich durch Training der Tiefenstabilität, also der stabilen Mitte, gut lindern oder präventiv betreuen. Deswegen ist Pilatestraining insbesondere für unsere Reha-Patient*innen sinnvoll und deshalb gibt es auch Seminare speziell zu diesem Thema.
Was können wir unter “stabile Mitte” verstehen und wozu brauchen wir sie?
Die stabile Mitte beschreibt die stabile Muskulatur im Bereich des Rumpfes. Pilates bezeichnet die stabile Mitte auch als Powerhouse. Dabei besteht das Powerhouse aus einem Boden, aus Wänden und einem Dach. Der Boden wäre in diesem Bild der Beckenboden, die Wände sind die tiefen Bauch- und Rückenmuskeln, und das Dach ist das Zwerchfell. All das bildet eine Art Haus im Rumpf. Und alles, was zur stabilen Mitte gehört, sorgt dafür, dass wir eine aufrechte Haltung haben.
Es wird gesagt, umso stabiler der Rumpf, desto schneller und kraftvoller können Bewegungen der Arme und Beine stattfinden. Aus diesem Grund trainieren Fußballer*innen auch intensiv ihre Körpermitte. Die Körpermitte ist ein wesentlicher Ausgangspunkt für körperliche Effizienz und Kraft.
Sabrina Rohde ist Physiotherapeutin und studierte Gesundheitsmanagerin. Bei Caspar Health sorgt sie nicht nur für die Genesung unserer Patient*innen. Als Leiterin der Therapie und des Patient*innenmanagements in der Caspar Clinic lebt sie auch, was anderswo oft zu kurz kommt - Gesunde Führung. Was sie und ihr Team motiviert, sind die sehr guten Feedbacks der Patient*innen.“Die Dankbarkeit, die wir jeden Tag lesen, treibt mich an, sie treibt das Team an und das macht jeden Tag Spaß.”
Welche Rolle spielt die “stabile Mitte” bei den Beschwerden der Patient*innen? Können Sie uns ein paar Beispiele geben?
Neben der allgemeinen Stabilisierung des Körpers, ist eine kräftige Mitte sehr wichtig für ein gutes Gleichgewicht. Viele unserer Patient*innen haben Operationen des Hüft- oder Kniegelenks hinter sich und sind dadurch in ihrer Balance beeinträchtigt. Für sie ist es besonders wichtig, ihre Rumpfmuskulatur zu stärken. Mit Übungen zur stabilen Mitte können wir sie dabei unterstützen, ihr Gleichgewicht besser zu halten. Eine stabile Mitte hilft darüber hinaus allen Menschen dabei, “im Training zu bleiben” und Stürzen vorzubeugen. Denn im Laufe des Lebens fällt es uns sonst immer schwerer, jederzeit das Gleichgewicht zu halten.
Zudem reduziert eine stabile Mitte die Verletzungsgefahr und wirkt somit präventiv. Automatisch wird die Haltung verbessert, wir können unseren Körper besser wahrnehmen und das hilft beispielsweise dabei, Rückenbeschwerden oder weiteren haltungsbedingten Schäden vorzubeugen.
Sie sind ja ausgebildete Pilates-Trainerin - wie kamen Sie dazu? Und was bedeutet eine “stabile Mitte” für Sie persönlich?
Ich bin seit mehr als 15 Jahren Trainerin in verschiedenen Bereichen, z. B. Wirbelsäulentraining, Aqua-Gymnastik u.v.m.. Bei all dem habe ich gemerkt, dass ich ein Fan davon bin, das anzubieten, was sich auch für Menschen mit verschiedenen Einschränkungen eignet. Ich habe eine Methode gesucht, die für mich auch aus medizinischer und physiotherapeutischer Sicht mit dem übereinstimmt, wovon auch ich überzeugt bin. Eine Methode, die keine extremen Positionen beinhaltet und verschiedene Strukturen nicht übermäßig belastet, sondern die man wirklich guten Gewissens auch machen kann, wenn man ein Rückenleiden hat, wenig trainiert ist oder nach einem Schlaganfall erstmal die Koordination wieder üben muss.
Könnten Sie uns einen kleinen Einblick geben, wie die Körpermitte aktiviert werden kann? Was ist dabei zu beachten?
Der Kernbaustein von Pilates ist, das Powerhouse zu aktivieren. Das gelingt, indem wir den Bauchnabel einziehen und versuchen, diese Spannung zu halten. Um das auszuprobieren, bietet es sich an, auf die vordere Stuhlkante zu rutschen und sich aufrecht hin zu setzen. Dann ziehen wir den Bauchnabel, so fest es geht, ein.
Es kann helfen, sich eine etwas enge Hose vorzustellen, bei der man versucht, den Knopf zu schließen. Dann stimmt schon mal die Richtung der Anspannung. Der Beckenboden wird bei dieser Bewegung meist automatisch angehoben. Jetzt halten wir die Anspannung … und dann wieder locker lassen. Dazu kommt noch die Pilates-Atmung seitlich in die Rippenbögen hinein. Aber wichtiger noch, als das perfekt zu können, ist es, überhaupt weiter zu atmen. Erstmal ist das schwierig, mit regelmäßiger Übung aber schnell erlernt. Umso häufiger man schafft, den Bauchnabel bewusst fest eingezogen zu halten, desto eher macht der Körper das auch automatisch. Dann stelle ich plötzlich beim Ausräumen des Geschirrspülers fest, “huch, mein Bauchnabel ist ja ganz von selbst fest eingezogen.''
Was können denn Patient*innen, die kaum Zeit in ihrem Alltag haben, dennoch zur Stärkung der Mitte tun?
Man kann diese Powerhouse-Übung wunderbar in das tägliche Leben integrieren, denn sie lässt sich bei allen Alltagsbewegungen machen: Beim Aufräumen, beim Staubsaugen, beim Einkaufen. Einfach Bauchnabel nach innen ziehen und versuchen diese Anspannung zu halten. Das schützt den Rücken und macht die stabile Mitte aus. Eine Patientin sagte mal: "Ich mache meine Beckenbewegungen immer an der Bushaltestelle und alle gucken mich dann verwundert an, aber so komme ich regelmäßig zum Üben.” Das ist genau das Richtige: Sich feste Zeitpunkte, feste Tätigkeiten auszusuchen, während derer man die Übung macht, z. B. “immer beim Staubsaugen” oder “immer wenn ich meine Enkel hochhebe”. Auch in der Caspar Software finden sich viele Übungen zur Stärkung der Mitte. Hier hat man jederzeit und überall Anleitung für das Training.
Welchen Mehrwert bietet Pilates über das Physische hinaus?
Pilates bietet ein ganz intensives Kennenlernen des Körpers. Viele wissen zum Beispiel überhaupt nicht, wohin sie atmen. In Erkältungszeiten ist das aber eine große Bereicherung, wenn man weiß, wie man in alle Bereiche ganz bewusst ein- und ausatmen kann, um die Lunge zu belüften. Aber auch die generelle Körperwahrnehmung wird besser.
Im Vergleich einer klassischen Rückenübungsgruppe und einer Pilatesgruppe mit Rückenschmerz-Patient*innen, zeigte die Pilatesgruppe bessere Ergebnisse bei der Schmerzbewältigung. Die Teilnehmer*innen begründeten dies mit: “Ich habe meinen Körper viel besser kennengelernt, viel besser spüren gelernt, sodass ich auch viel besser einschätzen konnte, ist der Schmerz gerade eher im Bauch, in der Hüfte oder eher im Kreuzbein?” Pilates schafft das Bewusstsein, Körperbereiche einzeln wahrnehmen zu können und in alle genau reinzuspüren. Und das ist viel wert.
Vielen Dank für die Einblicke und das motivierende Interview, liebe Sabrina Rohde!